Vor 70 Jahren war hier nichts als Steppe und Urwald. Jetzt steht mitten im Nirgendwo die brasilianische Hauptstadt Brasilia. Entworfen vom Star-Architekten Oscar Niemeyer.
Die Pläne lagen schon seit 1891 in der Schublade: Brasilien sollte eine neue Hauptstadt bekommen. Nicht die Mega-Metropolen wie Rio de Janeiro oder Sao Paulo sollten es werden, sondern eine neue geschaffene Stadt, irgendwo im Nirgendwo, mitten in Brasilien, weit ab von den Orten, in denen die Brasilianer lebten. Schnell verschwanden die Pläne wieder in der Schublade bis Präsident Kubitschek und Star-Architekt Oscar Niemeyer sie in der 1950er-Jahren wieder aufnahmen.
„Hier kommen eigentlich nur Architekten und Stadtplaner hin“, erklärt mir mein brasilianischer Reiseführer, der mich zwei Tage in der Stadt begleitet. Brasilia ist zwar UNESCO-Weltkulturerbe, aber vermutlich das am wenigsten von Touristen besuchte. Im Grunde genommen verständlich. Architektur wie in Brasilia finden wir Mitteleuropäer auch ausreichend in der ehemaligen DDR. Oder in Hannover, Marl oder Bergkamen.
Sozialistisches Bauen
Das ist kein Zufall. Niemeyer, zeitweise auch Mitglied der kommunistischen Partei Brasiliens, gehörte der selben architektonischen „Glaubensrichtung“ wie zahlreiche sozialistische Architekten an. Eine auf dem funktionalen Bauhaus basierenden Lehre, die Klassenunterschiede auch in der Stadtplanung überwinden wollte. Von „sozialistischem Bauen“ war damals die Rede, die „autogerechte Stadt“ wie sie auch in Hongkong verwirklicht wurde, war eine der Planungsgrundlagen für die neue brasilianische Hauptstadt.
Mitte der 50er-Jahre gingen Präsident und sein Architekt das Projekt an. Innerhalb von nur vier Jahren stampften sie mitten im trockenen Inneren Brasiliens, tausende Kilometer von den Metropolen entfernt, eine neue Hauptstadt für eine halbe Million Menschen aus dem Boden. Mit Parlament, Ministerien, Hotels, Militäranlagen, Stausee und Wohnungen. Brasilia ist dabei einem Flugzeug nachempfunden (siehe Foto unten).
Der Rumpf, das sind die Verwaltungsgebäude in der Mitte, das Cockpit das Parlament mit Abgeordnetenhochhaus und oberstem Gericht und Präsidentenpalast, die Flügel die Wohnbereiche. In diesen Plattenbau-Häusern sollten die Angestellten und Arbeiter wohnen, zu jedem Wohnblock gehören auch Geschäfte oder Kindergärten, sodass niemand weite Wege gehen muss.
Politiker flüchten aus Hauptstadt
Was Niemeyer nicht bedachte: Im Grunde hatte kein Abgeordneter Lust, weit weg von Zivilisation und Verwandten zu leben. So fliegen die in Brasilien noch mehr als bei uns verhassten Politiker montags nach Brasilia ein, spätestens freitags fliegen sie dank großzügiger Freitickets für Fluggesellschaften wieder nachhause. Entsprechend tot ist die Stadt von Freitag bis Montag. Irgendwie wie in der Stadt des Europaparlaments in Straßburg.
Kritik an der Hauptstadt, die am Reißbrett entstand, gibt es viel. Selbst Oscar Niemeyer war in seinen letzten Lebensjahren enttäuscht, weil in Brasilia Reiche und Arme nicht auf Augenhöhe leben. Die Ärmeren wurden längst in Satelliten-Vorstädte vertrieben. Weil die Mieten in Brasilia zu hoch sind, können sie sich eine Wohnung nicht mehr leisten. So leben heute in erster Linie Politiker und Verwaltungsangestellte in der Stadt. Abends werden die Bürgersteige hochgeklappt. Ein großstädtisches urbanes Leben und das Miteinander aller Schichten findet nicht statt.
Trotz aller Kritik: Niemeyer hat beispielsweise mit der Kathedrale oder dem Parlament spektakuläre Gebäude entworfen. Nicht nur für Architekten und Stadtplaner interessant. Deshalb ist Brasilia eigentlich ein Muss. Die Stadt ist ein Zeugnis für die Baustile und das Denken der 50er-Jahre. Und die sind ja jetzt auch lang genug vorbei, um Nierentische und Plattenbauten wieder hübsch zu finden.
Brasilia im Colorfulcities-Video:
Text/Fotos (c) Michael Westerhoff
Schade, man hätte den Artikel auch wertfreier schreiben können.
Ich war bereits in Brasilia und mich hat die Einfachheit und trotzdem der hohe Nutzwert der Bauten beeindruckt. Unser Hotel war im schlichten Stil der 50er Jahre gebaut, ABER Raumgefühl und die Belüftung, trotz der immensen Hitze, schufen ein einzigartiges Gefühl.
ich bin bin überzeugt, dass auch solche Ideen / Bauten ihre Berechtigung haben. Es geht um den Sinn der Nutzung und die Personen die es nutzen und nicht um Glanz und Gloria bzw. den sozialen Status darzustellen.
Eben geprägt vom ursprünglichen Bauhaus Stil. Das hat nix mit DDR oder Sozialismus zu tun. Übrigens ich bin ein Wessi ….
Am besten selbst anschauen und sich eine eigene Meinung bilden. Es lohnt sich!
Kann man so sehen wie Sie… Und selbst anschauen, kann ich auch nur empfehlen. Ich gebe nur zu Bedenken, dass Oscar Niemeyer das Projekt auch rückblickend als gescheitert bezeichnet hat. Ich stehe da also nicht ganz allein.
Einzelne Gebäude wie die Kathedrale halte ich für sehr gelungen. Auch das Parlament und das Außenministerium gefallen mir. Aber der Gesamteindruck der Stadt eben nicht.
Waren Sie im Palace-Hotel von Niemeyer? Gibt es hier auch einen Artikel zu: Das fand ich toll.
Tja, und über das Konzept der Plattenbauten kann man streiten. Ich kann bauhaus inzwischen nicht mehr sehen. Ich liebe beispielsweise Chicagos Hochhäuser. das häßlichste ist das von Mies van der Rohe. Diese Reduzierung auf Funktionalität ist mir inzwischen zu kühl und zu unemotional. Ich finde, wir könnte mal wieder schön statt funktional bauen.