22. November 2024

In Bolivien gehen die Uhren linksrum

Alter Dogde-Bus made in Brasil in den Straßen von La Paz

Als ich das Bild der Uhr über dem bolivianischen Parlament postete, überschlugen sich die Linken mit begeisterten Kommentaren. Boliviens Präsident Evo Morales hatte beschlossen, dass sich Uhren in seinem Land in Zukunft links herum drehen sollen. Weit entfernt von der Realität in Bolivien (Venezuela und Ecuador) hat sich in Deutschland eine Revolutionsromantik ausgebreitet.

„Am Anfang waren wir ja begeistert von Morales“, erzählt Daniel, der in Deutschland studiert hat, mittlerweile aber wieder in seiner bolivianischen Heimat wohnt. „Inzwischen schütteln wir aber nur noch den Kopf über seine Symbolpolitik.“ Bei Morales drehen sich nicht nur die Uhren andersrum, er hat auch die Farben der Nationalflagge verändert, damit sich alle Bevölkerungsgruppen darin wiederfinden.

Kampf für die Unterdrückten

Mit Morales ist 2006 erstmals ein Präsident gewählt worden, der in Armut geboren wurde. Und wie die meisten Bolivianer Indio-Wurzeln hat. Vor seiner Wahl war der Maoist als Arbeiterkämpfer aktiv. Für unterdrückte Koka-Bauern und Minenarbeiter. Er selbst sieht sich in der Tradition von Che Guevara. Ein ideales Vorbild für die deutsche Linke.

Das bolivianische Parlament
Das bolivianische Parlament

Dass er sich seinen dritten Wahlsieg 2014 mit einem Trick erschlich. Schwamm drüber. Bolivianische Präsidenten dürfen nämlich nur zwei Amtszeiten lang regieren. Ein Gesetz, das unter Morales entstand und dann doch nicht für ihn galt, weil Morales‘ erste Amtszeit vor der Gesetzesänderung begann.

Armes Bolivien – reich an Bodenschätzen

Bolivien war vor Morales das Armenhaus Südamerikas und ist es heute noch immer. „Obwohl wir eins der Rohstoff reichsten Länder der Erde sind“, wundert sich Margot, Mutter von drei Kindern, die nur deshalb über die Runden kommt, weil sie für europäische Reisekonzerne arbeitet.

Die neue karierte bolivianische Flagge
Die neue karierte bolivianische Flagge

„70 Prozent der Menschen bei uns leben unter der Armutsgrenze“, erzählt sie. Diese Bolivianer kämpfen jeden Tag ums Überleben. Sitzen am Straßenrand und verkaufen dort ein paar Kartoffeln oder eine Flasche Milch, um wenigstens ein paar Bolivianos (so die neue unter Morales eingeführte Währung, die a er ähnlich wenig wert ist wie die alte, unter Morales betrug die Inflationsrate zwischen vier und 14%).Dabei geht es den Landbewohnern noch gut.

Hohe Analphabetenquote

El Alto, eine Vorstadt von La Paz, ist der Anlaufpunkt für Landflüchtlinge. „Die Stadt hat inzwischen 1,2 Millionen Einwohner“, erzählt Daniel. Bei der letzten Volkszählung 2012 waren es noch 850.000. Eine einzige geteerte Straße führt durch die Stadt. Alles andere sind Schotterpisten. Die Hälfte der Menschen ist unter 19 Jahren alt. 88% der Menschen dort sind Analphabeten. So weit zur angeblich erfolgreichen Bildungspolitik der Sozialisten.

Flug über die Steinwüste der Stadt El Alto
Flug über die Steinwüste der Stadt El Alto

Die Stadt ist ein einziger Slum, zwar mit Steinhäuser, weil es in 4.100 Metern Höhe für Blechbehausungen zu kalt wäre, trotzdem herrschen hier bittere Armut und Kriminalität. 10köpfige Familien leben hier in einem einzigen Raum. Ohne Heizung oder Anschluss an die Kanalisation. Die Situation ist unter Morales eher schlechter als besser geworden.

Kein ÖPNV in Bolivien

Infrastruktur in Bolivien wie ein öffentliches Bussystem? Fehlanzeige. Es kreisen ein paar alte Busse aus den 50ern, den Transport organisieren aber Private mit kleinen Minibussen, die Boliviens wenige Straßen verstopfen. „Mit den alten Bussen passieren immer wieder schlimme Unfälle“, ärgert sich Daniel: „Eigentlich sind die verboten, aber keiner setzt die Verbote durch. Auch die illegale Bautätigkeit nimmt kein Ende. Immer wieder kommt es zu Erdrutschen, bei denen Häuser den Berg runterstürzen und Menschen getötet werden“.

Die Uhren am Parlament in La Paz gehen linksrum
Die Uhren am Parlament in La Paz gehen linksrum

Nichts, rein gar nichts hat Morales daran geändert. „Dabei müsste wir doch wegen der Rohstoffe ein reiches Land sein. Und wir sind doch nur zehn Millionen Bolivianer“, stellt Margot resigniert fest. Bolivien hat die drittgrößten Erdgasvorkommen der Welt. Morales hat die Forderung verstaatlicht. Obwohl das Land über ausreichend Erdöl verfügt, muss es Benzin importieren. Der Grund: Marode verstaatlichte Raffinerien. Ein Problem, das auch Venezuela hat.

Korruptes Land

Tatsächlich ist es Morales dank steigender Rohstoff-Preise gelungen, die Armut ein wenig zu reduzieren. Letztendlich kommt von den Einnahmen aber trotzdem kaum etwas bei der Bevölkerung an. Mit Morales hat sich im Grunde nur eins geändert: Früher bereicherte sich eine elitäre Clique an dem Land, heute eben die politischen Gefolgsleute von Morales. Bolivien ist laut Transparancy International nach Venezuela und Paraguay das dritt-korrupteste Land Südamerikas.

Blick von der "Bergstation" der neuen Seilbahn auf La Paz
Blick von der „Bergstation“ der neuen Seilbahn auf La Paz

Immer wieder gibt es Vorwürfe, der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär der Koka-Bauern Morales sei tief in Drogengeschäfte verwickelt, Reporter ohne Grenzen kritisiert den staatlichen Einfluss auf die Medien, das Fernsehen sendet in sozialistischer Tradition Regierungspropaganda am Stück. Mittlerweile ist der 55jährige übrigens nicht nur Politiker, sondern auch Fußball-Profi in der ersten bolivianischen Liga. Nach zehn Jahren im Amt scheint er endgültig dem Größenwahn verfallen. Das bemerken inzwischen nicht nur Margot und Daniel. Bei den Regionalwahlen im Mai 2015 hat die Morales-Partei eine schallende Ohrfeige bekommen und die drei größten Städte des Landes verloren. Auch El Alto, die Morales Hochburg.

Blick vom Titicaca-See auf die Anden in Bolivien
Blick vom Titicaca-See auf die Anden in Bolivien

Dass die Linke im Deutschen Bundestag Morales 2014 zum Wahlsieg gratuliert, wirkt wie ein Hohn oder Unwissenheit: „Wir (…) erhoffen uns auch weiterhin wegweisende politische Impulse für eine demokratischere und sozialistische Politik auch in Europa“, schreibt die Linken-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel auf ihrer Webseite. Wie würden die Menschen in El Alto solche Sätze empfinden? Die meisten haben dort pro Tag durchschnittlich nicht mehr als drei Scheiben Brot und ein gekochtes Ei, um sich zu ernähren. Wohl auch deshalb haben die früheren Anhänger von Morales seine Partei bei den letzten Regionalwahlen abgewählt.

Text/Fotos (c) Michael Westerhoff

Kommentar verfassen