Drei Monate kein Umsatz, mehrere Wochen in den Wohnungen eingesperrt. Der Lockdown hat Spuren bei den Menschen auf Mallorca hinterlassen. Und zeigt, welche schlimmen Folgen es hätte, wenn keiner mehr in den Urlaub fliegen würde.
„Auf Mallorca sind viele Familien wegen der Corona-Pandemie in eine tiefe finanzielle Krise gerutscht. Viele können sich nicht einmal mehr Lebensmittel für ihre Familie leisten“ – dieser Werbespot des Inselradios zeigt die gesamte Dramatik. Hunger und Armut – das sind die Folgen der ausbleibenden Touristen. Das Inselradio sammelt deshalb für die Bedürftigen. Auf meiner Reportagereise über die Insel treffe ich immer wieder auf traumatisierte Menschen, die Angst vor der Zukunft haben.
Traumatisierte Inselbewohner
Elisabeth aus Paderborn sitzt mit Sohn und Schwiegertochter in einem Lokal in der Nähe der Bierstraße. Als ich die Mitte 40jährige anspreche, sprudelt es nur so aus ihr raus. Am Tag des Lockdowns Mitte März ist sie auf Mallorca gelandet. Eigentlich nur, um die Kinder zu besuchen. Sieben Wochen hing sie mit den beiden in einer Mini-Wohnung in der Nähe von Palma ab. Nur für den Gang in den Supermarkt durfte sie das Haus verlassen.
„Ich wollte ein Glas Nutella kaufen“, erzählt mir ihr Sohn: „Da wurde ich von der Polizei angehalten und musste Strafe zahlen. Für ein Nutella-Glas durfte man das Haus nicht verlassen.“ Zustände, die wir uns, die einen sanften Lockdown erlebt haben, kaum vorstellen können. Elisabeth ist froh, dass diese Zeit jetzt vorbei ist. Nachdem sie sich wochenlang mit sich selber beschäftigen musste, hat sie jetzt wieder Augen für ihre Umwelt. „Ich gucke immer auf die leeren Hotels. Das hat was von Lost Places auch traurig. Geschäftlich ist es tot. Macht mich schon bisschen traurig.“
Hotels und Restaurants geschlossen
Tatsächlich sind Anfang Juli die meisten Hotels und Kneipen auf Mallorca noch geschlossen. Auch wenn uns im Fernsehen Bilder von feiernden Menschen erreichen, wirklich viel ist auf der Insel nicht los. Selbst in der Partyhochburg Playa de Palma nicht. Anfang Juli hat Brigitte ihr Restaurant Anders, ebenfalls in der Nähe der Bierstraße wieder eröffnet. Sie erzählt mir von ihrer Situation: Ich habe wochenlang auf der Couch gesessen und gehofft, dass es weiter geht. Das war schon sehr surreal“. Schnell kommen wir auch aufs liebe Geld zu sprechen: „Wirtschaftlich sind wir einigermaßen gut aufgestellt. Wir haben was beiseite gepackt, langsam geht es aber an die Altersreserve“.
Hälfte der Wirte droht Pleite
Brigitte ist sich aber sicher: „Wir überstehen auch diese Krise“. Andere wohl nicht. „50 Prozent, sagt mein Steuerberater, überstehen es nicht“, erzählt Brigitte. Feli vom Deutschen Eck, der Kneipe gegenüber, glaubt: „Insbesondere die kleinen Lokale werden Schwierigkeiten bekommen.“ Im Juni erwirtschaften viele den Umsatz, der ihnen über den Winter hilft. Etwas, das 2020 wegfällt.
Ich fahre in den zweiten Lieblingsort der Deutschen auf Mallorca. Nach Cala Ratjada. Im Vergleich mit diesem Ort ist Playa de Palma eine pulsierende Metropole. Hier ist alles geschlossen. Kein Hotel geöffnet, kaum ein Geschäft oder Restaurant auf. Cala Ratjada ist eine Geisterstadt. An jedem dritten Laden hängt ein „Zu verkaufen“ – Schild. Das Restaurant La Bodeguita an der Promenade gehört Hartmut Hohn, der vor 30 Jahren aus Deutschland nach Mallorca ausgewandert ist.
Geisterstadt Cala Ratjada
„Die Lage ist sehr schlecht, weil keine Touristen da sind. In Cala Ratjada ist gar nichts.“, begrüßt mich der Wirt. Ob und wann es wieder aufwärts geht? Hohn kann das nicht einschätzen: „Kommt drauf an, wie viele Hotels wieder eröffnen.“ In Cala Ratjada sieht wenig danach aus, dass das bald passieren könnte. Viele wollen nicht mehr aufmachen. Oder können nicht mehr, erzählt mir Hohn. „In einem anderen Lokal mache ich sonst 2.000 Euro am Tag Umsatz, heute sind es durchschnittlich 40 Euro pro Tag“. Hohn macht sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft. Auch er hat im Sommer 2020 nichts für den Winter zurücklegen können.
Kurzarbeitergeld hilft nicht viel
40.000 Selbständige auf Mallorca haben den Lockdown nur dank des Kurzarbeiter-Programms ERTE überstanden. „Ich habe 690 Euro bekommen“, erzählt mir eine junge Frau, die als selbständige Promoterin Kreditkarten verkauft: „Von den 690 musste ich aber gleich 300 wieder abdrücken. Diese Gebühr bezahlen Ausländer, die auf Mallorca selbständig sein.“ Mehr schlecht als recht hat die Mutter einer kleinen Tochter den Lockdown überstanden.
Noch schlechter als den Wirten geht es ihren Angestellten. Die mussten sich mit dem spanischen Kurzarbeiter-Programm ERTE über Wasser halten. Ein Drittel aller Arbeitnehmer auf Mallorca waren in Kurzarbeit. Über 150.000. Wie bei uns in Deutschland gibt es 70 Prozent des Gehalts als Kurzarbeitergeld. Nur: Kellner auf Mallorca haben eher wenig Grundgehalt und leben vom Trinkgeld. Mit den 70 Prozent können sie gerade mal die Miete bezahlen.
So sieht Welt ohne Tourismus aus
Die Geschichten nehmen mich mit. Viele, mit denen ich rede, sind vom Lockdown traumatisiert und haben große Angst. Werden wir den Winter überstehen? Wo bekommen wir Essen her? Wo kann ich Geld sparen, um irgendwie über die Runden zu kommen? Das sind die Fragen, die den Menschen Sorgen bereiten. Ich denke, vielleicht sollte ich genau jetzt ein Mitglied von Fridays for Future einfliegen lassen. Mallorca wäre ein gutes Studienprojekt. Eine Blaupause für eine Welt ohne Tourismus. Eine Insel, die so ruhig wie seit Jahrzehnten nicht ist. Eine Insel, auf der die Menschen keine Arbeit mehr finden und hungern.
Text/Fotos (c) Michael Westerhoff