27. Juli 2024

Esch-sur-Alzette – von der Stahlstadt zur Universitätsstadt

Auf einem alten Stahlwerksgelände in Esch-sur-Alzette ist ein neuer Stadtteil mit Universität, Forschung, Kunst und einer Konzerthalle entstanden. Belval heißt dieses Luxemburger Vorzeigeprojekt.

Grund für den Reichtum Luxemburgs (das reichste Land der Welt) ist die Stahlproduktion, nicht die Finanzwirtschaft. Das werden Luxemburger nicht müde zu betonen. Nur ging es mit der seit den 1970ern ähnlich wie in Deutschland bergab. 1997 schloss der letzte der drei verbliebenen Hochöfen in Esch-sur-Alzette im Süden Luxemburgs. Übrig blieb ein 120 Hektar großes Brachland. Dreimal so groß wie der Vatikan. Was also anfangen mit dem riesigen Areal?

Moderne Architektur in Belval

Luxemburg entschied sich für den Aufbau einer „Wissenschaftsstadt“, ohne aber die historischen Wurzeln zu verleugnen. Einer der Hochöfen war bereits nach China verkauft, die anderen beiden hat das Land unter Schutz gestellt, restauriert und für Besucher geöffnet. Wer mag, kann jetzt auf den Hochofen A klettern oder mit dem Aufzug fahren. Von dort hat man einen wunderbaren Blick auf den neuen Stadtteil Belval (Mehr über die Hochofen-Tour in diesem Artikel).

Auf den Hochofen klettern

Belval (zu deutsch: schönes Tal) unterteilt sich heute in zwei Wohnviertel, einen öffentlichen Park und eben die Stadt der Wissenschaft mit Shopping-District, Universität und Überbleibseln der alten Stahlgeschichte. Gleich neben den Hochöfen befinden sich zwei weitere spannende alte Produktionshallen, die besichtigt werden können. Teile der alten Möllerei, des Lagers des Stahlwerks, in denen sich heute eine Bibliothek und ein Museum befinden.

Alte Elemente der Stahlproduktion (vorn) in der modernen Bibliothek

Besonders gelungen ist die neue Bibliothek. Eine der schönsten, die ich jemals gesehen habe. Mitten in einer alten Stahlhalle stehen (wer auch immer das nachgemessen hat) 10,7 Kilometer Bücher. Ihr könnt da einfach rein marschieren. Kostet nichts. Am Eingang steht nur ein Security-Mann, dessen Hauptaufgabe es ist, „psst“ zu sagen und allzu laute Touristen zum Schweigen zu bringen. Unbedingt bis ganz nach oben gehen! Die Halle ist neu, es befinden sich auch noch Reste alter Produktionsanlagen in der Bibliothek. Sie ist für Menschen aus Esch offen, gehört offiziell aber zur Uni.

Bibliothek und Museum in altem Stahlwerk

Gleich daneben ist das Kunstmuseum „Alte Möllerei“. Die alte Lagerstätte des Stahlwerks ist zu einem Museum für moderne Kunst umgebaut worden. Die Möllerei zeigt wechselnde Ausstellungen in einem Industrie-Ambiente. Ich weiß, mit moderner Kunst können viele nichts anfangen, ein Besuch lohnt trotzdem, denn der Mix aus Kunst und alter Stahlhalle ist echt gelungen.

Kunst in der Möllerei

Rund um die Überreste der Stahlproduktion sind die Gebäude der Universität, Labore und Räume für Start-Ups in teilweise futuristischen Hochhäusern untergebracht. Esch-sur-Alzette ist einer von drei Standorten der Universität von Luxemburg. Hier befindet sich die Verwaltung, aber auch die Fakultäten der Geisteswissenschaften, Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften. Ziel ist es, dass hier einmal rund 7.000 mensch an der Uni arbeiten und studieren sowie 3.000 neue Arbeitsplätze in den jungen Firmen finden.

Lady Gaga, Tokio Hotel, Pink – in Rockhal

Für Unterhaltung der Studenten ist jedenfalls gesorgt. Im Stadtteil bella befindet sich nämlich auch die Rockhal. Mit 6.500 Plätzen im größten Saal, 1.200 in einem kleineren. Hier haben schon Lady Gaga, Pink und Tokio Hotel gespielt. Die Konzerthalle liegt schräg gegenüber vom Stahlwerk, passend an der Avenue du Rock’n’Roll. Es gibt auch eine Avenue du Blues. Und Shopping-Möglichkeiten gibt es auch reichlich.

Neue Gebäude, rechts in der Ecke das moderne Stahlwerk

Ganz ist die Stahlindustrie übrigens nicht aus Esch verschwunden. Im Elektrowalzwerk von Arcelor Mittal arbeiten immer noch 1.000 Menschen. Hier wird der modernste Stahl der Welt produziert. Unter anderem für die Hochhäuser in Dubai oder auch das One World Trade Center in New York.

Esch war 2022 europäische Kulturhauptstadt. Neben einem Rundgang bietet sich auch eine virtuelle Tour an. In einem Bus bekommt man VR-Brillen. Zwei Touren sind im Angebot. Eine durchs bäuerliche vorindustrielle Esch 1912 als das Belval wirklich noch ein schönes Tal war und eine zweite durch das aktive Stahlwerk 1986. Mehr Infos hier.

Esch-sur-Alzette, Fond-de-Gras und das Ruhrgebiet: Die Industriekultur erinnert schon stark an das Ruhrgebiet. Der Stahlstandort wurde 1909 tatsächlich von der Gelsenkirchener Bergwerks-AG errichtet. Das Stahlwerk hieß ursprünglich Adolf-Emil-Hütte. Eine Walzstraße der Bergwerksgesellschaft war bis 1989 in Betrieb und steht heute im Freilichtmuseum in Fond-de-Gras. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Gelsenkirchener Unternehmen gezwungen die Anlagen an den Luxemburger Konkurrenten ARBED zu verkaufen. Zur Bergwerks-AG gehörten u.a. auch die Zeche Nordstern in Gelsenkirchen, die Zeche Holland in Bochum-Wattenscheid, die Zeche Zollern in Dortmund und auch die Stahlwerke Phoenix in Dortmund.

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